Im Stadtteil: Berthold Kiefer

Berthold Kiefer und seine Frau Mathilde zu treffen, ist zumindest für einen Musikliebhaber nicht allzu schwer: Beide hören gerne viele der in Freiburg angebotenen Konzerte – Musikhochschule, SWR-Sinfonieorchester, Philharmonisches Orchester Freiburg, Freiburger Barockorchester: das Angebot an Klassischer Musik ist in Freiburg unerschöpflich und damit auch die Konzertauswahl für Kiefers.
Von 1964 bis 1987 leitete der geborene Nordbadener das umfangreichste Dezernat innerhalb der Freiburger Stadtverwaltung mit den Schwerpunkten Sozial- und Jugendhilfe sowie öffentliche Sicherheit und Ordnung. Seinerzeit fiel sozialpolitisch die Integration der bis dahin sich am westlichen Stadtrand Freiburgs ansiedelnden Sinti- und Romafamilien in seinen Aufgabenbereich genauso wie die Erhaltung des städtischen Forstamtes und dessen enge Verbindung zur Forstwissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg oder die Einführung der Fußgängerzone in der Innenstadt – einst heftig u.a. von der Geschäftswelt bekämpft, heute nicht mehr fortzudenken. Zwei Jahre nach seinem Abschied fiel in Berlin die Mauer und alles lief sehr schnell auf eine Wiedervereinigung zu, zumal die als festgefügt geglaubten Strukturen in der ehemaligen DDR rasch zusammenbrachen.
Als „One-Dollar-Man“ ging Berthold Kiefer Anfang Juni 1990 „in den Osten“. Zuerst „verdingte“ er sich für das symbolische Gehalt von einer D-Mark pro Monat in der Stadt Rathenow in Brandenburg, damals eine Stadt mit 33.000 Einwohnern und zusätzlich 15.000 russischen Soldaten mit dazugehörigen Zivilpersonen. „Eine meiner schwierigsten Aufgaben war, die gerade im Aufbau befindliche Stadtverwaltung daran zu hindern, städtische Grundstücke gar an fragwürdige Investoren unter Wert zu verscherbeln, um eines schnellen Erfolges willen ‚auf der grünen Wiese’ Einkaufszentren u.ä. aus dem Boden zu stampfen. Man bedenke, die kommunalen Verwaltungen standen unter einem enormen Erwartungs- und Erfolgsdruck ihrer Bevölkerung. Ich musste überhaupt erst einmal erklären, was ein Grundstück wert ist und daß baureife Grundstücke nicht beliebig vermehrt werden können. Der Glaube, mit der DM würde jetzt alles gut, war weit verbreitet. Und was da zum Teil an Glücksrittern aus dem Westen Deutschlands kam, erkannten die Einheimischen erst einmal nicht.“
Die Ankurbelung von Investitionen in einer Stadt, die wie alle Städte der DDR über keine nennenswerten Eigenmittel verfügte, in Verbindung mit einer planvollen Stadtentwicklung stand im Vordergrund alltäglicher Arbeit. Hinzu kam der verwaltungsorganisatorische Aufbau einer Stadtverwaltung: Die Ausarbeitung einer Hauptsatzung, einer Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung, eines Dezernatsverteilungsplanes, einer Dienst- und Geschäftsanweisung für die Stadtverwaltung und anderes mehr. Vororttermine und Reisen zur „Treuhand“ in Berlin jagten einander. Eine Sisyphusaufgabe und ein Fünfzehnstundentag.
Kurze Zeit später – ab Mitte Januar 1991 – findet man Berthold Kiefer in Mecklenburg-Vorpommern in Prerow auf dem Darß an der Ostsee wieder. Hier versucht er – ebenfalls als „One-Dollar-Man“ – der örtlichen Verwaltung bei der Erledigung des Verwaltungsalltags beizustehen und schwerpunktmäßig Grundlagen für eine touristisch erschlossene Landschaft zu legen.
Aber warum denn nur für eine D-Mark im Monat, Herr Kiefer? „Ich hatte mit den jeweiligen Bürgermeistern ausgemacht, daß ich nur eine Mark im Monat haben wollte, weil ich ja hier in Freiburg meine Pension bezog; und ich wollte auch die Möglichkeit haben, gegebenenfalls kurzfristig mit dieser Tätigkeit aufzuhören, wenn beispielsweise die „Chemie“ zwischen der Gemeindeverwaltung und mir nicht stimmen sollte. Genauso sollte die Gemeinde sich jederzeit von mir trennen können. Das gab beiden Teilen eine erfreuliche Unabhängigkeit.“ Die unentgeltliche Tätigkeit Kiefers in Rathenow und Prerow bildete eine Vertrauensbasis. Sie wurde sehr schnell als uneigennützig erkannt („der will ja von uns kein Geld, der will uns ja nur helfen“) und schuf das für ein erfolgreiches Wirken notwendige Vertrauen zwischen Einheimischen und dem Berater.
Auch heute fahren Kiefers gern einmal nach Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, um sich an der Havel- bzw. Ostseelandschaft zu erfreuen und die in den Jahren 1990/91 in Rathenow und Prerow gewonnenen Freunde zu besuchen.
Seit weit über 60 Jahren sind Kiefers verheiratet und sie leben seit fast einem halben Jahrhundert in der Wiehre. Auch außerhalb von Konzerten trifft man sie im Stadtteil bei Spaziergängen, wenn auch jetzt gelegentlich die Standfestigkeit durch einen Gehstock gefördert wird.
Klaus Winkler