Erhalt oder Abriss? Eine lebhafte Debatte, die Städte-planer*innen und Architekt*innen landauf, landab umtreibt. Ist der Erhalt jedes Gebäudes notwendig und kann jeder Abriss beanstandet werden? Nein, um neuen Wohnraum zu schaffen, kann es auch stimmig sein, ein Gebäude abzureißen. Im nachfolgenden Fall mögen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich selbst ein Urteil bilden und die folgende Frage beantworten: War dieser Abriss notwendig und ist der Neubau stimmig?
Hat Bauen früher wie heute neben ästhetischen, praktischen, ökonomischen, juristischen nicht auch – und gerade heute – soziale und ökologische Aspekte zu verwirklichen? Die Antwort auf diese Frage erscheint auf den ersten Blick trivial. Ist sie das auch in der konkreten Umsetzung im nachfolgenden Fall?
Die Basler Straße zeichnet sich dadurch aus, dass unterschiedliche Baustile aus unterschiedlichen Zeiten ein eher heterogenes Erscheinungsbild haben entstehen lassen. Besonders ist jedoch, dass sich hinter den Gründerzeitgebäuden der Nummern 36–42 Wohnhinterhäuser befinden, so auch bis vor wenigen Monaten das Wohngebäude Nr. 36a (Bild 1). Dieses Wohnhaus hatte gemäß Liegenschaftskataster eine Wohn-Grundfläche von ca. 170 m² und grenzte an die grünen, weiten Gärten der Wohnhäuser der Goethestraße. Vom Gebäudestil her passte es sich stimmig in das Gesamt-ensemble ein: Fensterform und -laibung, Giebeldach mit Giebelgauben, Fassadengliederung und -farbe. Es diente vorrangig als Wohnhaus, obwohl im EG vor vielen Jahren auch zeitweise ein Lager eingerichtet worden war. Als dieses aufgegeben wurde, entstand erneut Wohnraum. Insgesamt bewohnten es fünf Parteien, eine der letzten Bewohnerinnen war eine Krankenschwester. Inwiefern grundlegende Sanierungsarbeiten im Gebäudeinnern notwendig gewesen wären, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden, denn auch bei dieser Frage ist entscheidend, welches Ziel die jeweilige Sanierung haben soll. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gebäude ästhetisch passend, zeitbedingt praktisch, ökonomisch – je nach wirtschaftlichem Ziel – war und soziale wie ökologische Aspekte verwirklichte. All‘ dies half nichts.
Es wurde an eine Baugesellschaft veräußert, die im Jahr 2021 einen Bauvorbescheid für den Bau eines Mehrfamilienhauses in der Basler Str. 36a beantragte. Die schriftlichen Einwände der Nachbar*innen im Rahmen der Nachbarbeteiligung wurden vom Baurechtsamt abgewiesen. Eine anschließende Klage der Nachbar*innen scheiterte im Jahr 2024 vor Gericht. Zwischenzeitlich wurde das Anwesen im Jahr 2023 an eine andere Baugesellschaft verkauft. Der ursprünglich auf vier Wohnparteien angelegte Plan für den Neubauwurde von dieser Gesellschaft geändert und so sollen nun sechs Wohneinheiten entstehen. Dem erneuten Widerspruch der Nachbar*innen konnte das Baurechtsamt nicht abhelfen und so liegt die Angelegenheit nun beim Regierungspräsidium Freiburg. Damit nicht genug, die Angelegenheit erhielt mit der vom Gemeinderat im Mai 2023 beschlossenen Veränderungssperre des Gebietes zwischen Basler-, Schwimmbad-, Goethestraße und Amselweg eine weitere Dramatik, da von der Veränderungssperre Bauvorhaben, die vor dem Beschluss hätten „begonnen werden dürfen … von der Veränderungssperre nicht berührt“ wurden (DRUCKSACHE G-23/104). Im Oktober 2024 rückte dann der Bagger über das dazu erworbene Grundstück von der Goethestraße aus an, riss zuerst einmal (widerrechtlich) die trennende Mauer zum Grundstück Goethestraße 30 ein, hatte nach Auskunft von Augenzeugen alle Mühe, da das Mauerwerk Widerstand entgegenbrachte, und machte das Gebäude dem Erdboden gleich. Das ursprüngliche Wohnhaus Basler Straße 36a ist somit Vergangenheit und unwiederbringlich zerstört (Bilder 2–3).
Was soll nun entstehen? Als architektonisches Plagiat der bereits bestehenden Hinterhäuser der Basler Straße 38-2 soll nun in Quaderstapel- oder auch Schuhschachtelstapel-Bauweise, wie sie leider in der Wiehre immer häufiger anzutreffen ist, ein neues Wohngebäude erstellt werden. Gewiss nach modernen Wohn-, Energie- und Qualitätsstandards. Der Stil erinnert jedoch – gerade durch den Kontrast zu den Wohngebäuden der Basler Straße – an den Brutalismus der 1970er Jahre. Während andere Städte, wie z.B. Frankfurt, bemüht sind, diesen Baustil auf fantasievolle Weise durch deren Abriss (s. Neue Altstadt Frankfurt) zu überwinden, scheint Freiburg damit noch Mühe zu haben. Aus einem Giebeldach wird ein Flachdach mit Dachterrassenaustritt, versehen mit einer Mini-Solaranlage, aus einem Backstein-gebäude ein Betonquader-Stapel. Gewiss, über Ästhetik lässt sich trefflich streiten, man könnte diese Neubauklötze auch als bewussten Kontrast zu den Vorderhäusern „verkaufen“. Da der Neubau bereits auf ImmoScout24 angeboten wird, kann jede(r) Interessierte sich die Preise für den Quadratmeter und das geplante Gebäude im Detail ansehen. Bei einem Kaufpreis von ca. 10.000 € pro qm wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach eine Krankenschwester (s.o.) mit ihrem Einkommen diesen Wohnraum nicht mehr leisten können. Ob der Neubau juristisch vor oder nach der Veränderungssperre erstellt werden durfte, mag nur noch Juristen interessieren, ob er ästhetisch ins Ensemble passt, sozial angemessen und ökologisch, trotz geplanter Wärmepumpen – an den Grundstücksgrenzen versteht sich – ist, bleibt hier als Frage offen.
Claus Ramsperger