Das Leben der einfachen Menschen in Günterstal – nicht nur im 19. Jahrhundert
„Während sich wenige private Bauherren mit Interesse für die Erhaltung gewachsener Strukturen engagieren und bei der Sanierung von Altbauten gegen hohe Auflagen kämpfen müssen, scheinen die Neubauprojekte von Bauunternehmern erst bei aufflammendem Protest näher überprüft zu werden. Denkmalschutz scheint zum Mythos, Stadtpolitik und Investorenwünsche in Freiburg dagegen zum Maßstab geworden zu sein, die in Zeiten des Baubooms von der Lokalpresse mit oberflächlichen Artikeln begleitet werden.“
Die etwas holprige Einleitung, deren kämpferische Aussage wohl gerade in Herdern oder der Wiehre auf Zustimmung stoßen dürfte, belegt, dass Karin Groll-Jörger die auf zwei Bände angelegte Geschichte Günterstals auch mit Herzblut verfasst hat.
Band 1 befasst sich mit dem Zeitraum von der Säkularisation 1806 bis zur Eingemeindung 1890, umfasst also fast das gesamte 19. Jahrhundert. – Mit bewundernswertem Aufwand und Bearbeitung eines kaum fassbaren Quellenmaterials lässt Groll-Jörger das schon beinahe erbärmliche Dorf Günterstal vor Augen entstehen, wobei die Vorgeschichte von 804 als erster urkundlicher Erwähnung bis 1806 –wesentlich auch als Klostergeschichte – breiten Raum einnimmt, zum Verständnis des 19. Jahrhunderts auch dringend erforderlich.
Geschildert wird das dörfliche Leben in allen seinen Facetten, ob es sich um die politischen, wirtschaftlichen oder verwaltungsmäßigen Verflechtungen mit der dominierenden Stadt Freiburg oder die Gerichtsbarkeit, die allgemeine Daseinsvorsorge oder auch das ganz normale Familienleben handelt. Mit einer Liebe zum Detail schildert die Autorin das tägliche Leben der Dorfbewohner, gleich ob es sich um die Bäcker, die Fuhrleute, die Krämer oder die Schuhmacher handelt; und es bleibt nicht bei der Beschreibung der Berufe, die Berufsträger werden namentlich benannt und gewinnen so Leben.
Und das zeichnet das Buch aus: das ganz normale – manchmal auch das nicht normale – Leben entsteht vor dem Auge des Lesers: den Ehekrieg von Johann und Zäzilia Schneider erlebt er genauso wie das Schicksal der zahlreichen nichtehelichen Kinder oder der Diebin Veronika Flamm.
Für den Autor dieser Zeilen war die umfängliche Flößerei auf den durch Günterstal nach Freiburg fließenden Bächen Neuland; Dreher hatte darüber in seinem Günterstalbuch nicht berichtet. Und welche Schäden die Flöße immer wieder an den zum Teil kanalisierten Bächen anrichteten – der Konflikt mit Freiburg war nahezu programmiert.
Wer sich für den südlichsten Freiburger Ortsteil Günterstal, bis Mitte des 20. Jahrhunderts ein Armenviertel, interessiert, der wird in diesem Buch auf jede Frage eine Antwort finden; an Bildern und Karten wird nicht gespart, mehr als 1200 Fußnoten belegen auch den wissenschaftlichen Anspruch der Autorin, mehr als 200 zum Teil farbige Abbildungen lockern den Text auf. Man kann das Buch uneingeschränkt empfehlen, auch wenn das Orts- und Namensverzeichnis dem zweiten Band vorbehalten ist. Einer zweiten Auflage und dem zweiten Band wünscht man ein besseres Lektorat.
Klaus Winkler